In den letzten Wochen hat ein neuer Trend das Internet im Sturm erobert: KI-generierte Bilder im Stil des legendären japanischen Animationsstudios Ghibli. Was auf den ersten Blick wie ein harmloser, kreativer Zeitvertreib erscheint, wirft bei näherem Hinsehen tiefgreifende Fragen über Kunst, Authentizität und die Zukunft kreativer Arbeit auf. Denn hinter den niedlichen, pastellfarbenen Bildern verbirgt sich ein ethisches Dilemma, das uns alle zum Nachdenken anregen sollte.
Der Ghibli-Trend: Wie alles begann
Alles nahm seinen Anfang, als OpenAI im März 2025 sein neuestes KI-Modell GPT-4o mit integrierter Bildgenerierung vorstellte. Nutzer entdeckten schnell, dass das Modell besonders gut darin ist, den unverwechselbaren Stil von Studio Ghibli nachzuahmen – jenes Studios, das mit Meisterwerken wie „Mein Nachbar Totoro“, „Chihiros Reise ins Zauberland“ und „Das wandelnde Schloss“ Filmgeschichte geschrieben hat.
Innerhalb weniger Tage waren soziale Medien überflutet mit KI-generierten Bildern, die persönliche Fotos, bekannte Memes und sogar politische Figuren in den träumerischen, handgezeichneten Stil von Ghibli verwandelten. Selbst OpenAI-CEO Sam Altman änderte sein Profilbild auf X in eine Ghibli-Version seiner selbst und kommentierte ironisch: „Ich arbeite seit einem Jahrzehnt daran, Superintelligenz zu erschaffen, um Krebs zu heilen oder so… und dann wache ich eines Tages auf und bekomme hunderte Nachrichten: ‚Schau, ich habe dich im Ghibli-Stil gemacht, haha‘.“
Hayao Miyazakis Haltung zu KI
Was viele Nutzer bei ihrer Begeisterung für den Trend übersehen: Hayao Miyazaki, der 84-jährige Mitbegründer von Studio Ghibli, hat sich bereits 2016 deutlich gegen KI-generierte Kunst positioniert. In einer Dokumentation wurde ihm eine frühe Version einer KI-Animation vorgeführt, die er mit deutlichen Worten ablehnte:
Studio Ghibli co-founder Hayao Miyazaki is currently trending on Twitter X for his reaction to seeing an AI-generated animation in 2016:
— ToonHive (@ToonHive) March 27, 2025
“I am utterly disgusted […] I strongly feel that this is an insult to life itself.”
pic.twitter.com/zpbvJ6i21n
„Wer auch immer so etwas erschafft, hat keine Ahnung, was Schmerz überhaupt ist. Ich bin absolut angewidert. Wenn ihr wirklich gruselige Sachen machen wollt, könnt ihr das tun. Ich würde diese Technologie niemals in meine Arbeit einbeziehen wollen. Ich empfinde das als eine Beleidigung des Lebens selbst.“
Miyazaki, bekannt für seine akribische Handarbeit und sein tiefes Verständnis für die Natur und das menschliche Leben, sieht in der KI eine Bedrohung für die Seele der Kunst. Seine Filme entstehen in mühevoller Kleinarbeit, Frame für Frame, gezeichnet von menschlichen Händen. Eine einzige Szene in seinem Film „Wie der Wind sich hebt“ – gerade einmal vier Sekunden lang – brauchte 15 Monate, um fertiggestellt zu werden.
This four second crowd scene from Studio Ghibli’s The Wind Rises (2013) took animator Eiji Yamamori 1 year and 3 months to complete pic.twitter.com/RyOngP2o60
— Anime Aesthetics (@anime_twits) March 27, 2025
Das ethische Dilemma: Zwischen Bewunderung und Ausbeutung
Der Ghibli-Trend wirft fundamentale Fragen auf: Ist es in Ordnung, den unverwechselbaren Stil eines Künstlers oder Studios mit KI zu imitieren? Wo verläuft die Grenze zwischen Inspiration und Ausbeutung?
Rechtlich bewegen wir uns in einer Grauzone. Während der Stil eines Künstlers nicht direkt urheberrechtlich geschützt ist, wurden die KI-Modelle höchstwahrscheinlich mit urheberrechtlich geschütztem Material trainiert – darunter vermutlich auch tausende Frames aus Ghibli-Filmen. Mehrere Verlage und Künstler haben bereits Klagen gegen KI-Unternehmen eingereicht, weil diese ihre Werke ohne Erlaubnis zum Training verwendet haben.
So you’re telling me I can take a popular meme, transform it into Studio Ghibli style anime, and people will just like it? pic.twitter.com/2n3ulLOXVB
— Kaz 🎙️ (@btcKaz) March 26, 2025
Doch jenseits rechtlicher Fragen geht es um etwas Tieferes: den Wert menschlicher Kreativität. Jeder Ghibli-Film ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit, künstlerischer Vision und handwerklicher Meisterschaft. Wenn eine KI diesen Stil in Sekunden reproduzieren kann, was bedeutet das für die Zukunft der Kunst?
Die zwei Seiten der Medaille
Auf der einen Seite steht die Freude, die viele Menschen beim Betrachten und Erstellen dieser Bilder empfinden. Der Trend hat Menschen erlaubt, sich mit einem geliebten Kunststil zu verbinden und ihre eigenen kreativen Ideen auszudrücken.
Can you imagine The Shining in Ghibli style?
— OscarAI (@Artedeingenio) March 29, 2025
I put this adaptation together in just a few hours using ChatGPT and @LumaLabsAI
And honestly… I think it’s scarier than the original 😱😁
You can now turn your favorite movie into anime.
We’ve entered a whole new creative era… pic.twitter.com/LdYTBFtYBK
Auf der anderen Seite steht die Sorge, dass wir den Wert menschlicher Arbeit und Kreativität untergraben. Wie eine Kritikerin auf Instagram schrieb: „Die Tragödie ist nicht nur, dass KI Kunst repliziert, sondern dass Menschen bereit sind, ihre hohlen Imitationen über das tiefmenschliche Handwerk der Animation zu stellen.“
Zelda Williams, Schauspielerin und Regisseurin, brachte es auf den Punkt: „Die Menge an ‚Gewöhn dich dran‘, ‚Es macht Spaß‘, ‚Hör auf zu jammern‘, die ich als Antwort auf Anti-KI-Gefühle sehe, ist wild. Ich kann euch nicht davon abhalten, die dummen, Wasser verschwendenden, beschissenen Faksimile-Maschinen zu benutzen, genauso wie ihr mich nicht davon abhalten könnt, darüber zu sprechen, wie zutiefst leer das Leben werden wird, wenn wir das Streben nach Kunst oder Wissen einer Maschine überlassen.“
Every time I see a Ghibli meme pic.twitter.com/sM4gMqdVTV
— meme bastard (@mask_bastard) March 28, 2025
Die Zukunft der Kreativität
Der Ghibli-Trend ist mehr als nur ein vorübergehendes Internet-Phänomen. Er ist ein Vorbote dessen, was uns in einer Welt erwartet, in der KI immer besser darin wird, menschliche Kreativität zu imitieren.
Während wir die technologischen Fortschritte bewundern können, sollten wir auch innehalten und uns fragen: Was verlieren wir, wenn wir den menschlichen Schweiß, die Tränen und die Jahre der Hingabe, die hinter großer Kunst stehen, durch einen Algorithmus ersetzen?
What if Studio Ghibli directed Lord of the Rings?
— PJ Ace (@PJaccetturo) March 27, 2025
I spent $250 in Kling credits and 9 hours re-editing the Fellowship trailer to bring that vision to life—and I’ll show you exactly how I did it 👇🏼 pic.twitter.com/IqUeBSH4H0
Vielleicht liegt die Antwort in einem bewussteren Umgang mit KI-Technologie. Anstatt sie als Ersatz für menschliche Kreativität zu sehen, könnten wir sie als Werkzeug betrachten, das unsere eigene Kreativität ergänzt und erweitert – immer mit Respekt für die Künstler, deren Arbeit uns inspiriert.
Der Ghibli-Trend mag vergänglich sein, aber die Fragen, die er aufwirft, werden uns noch lange beschäftigen.
Quellen:
https://twitter.com/sama/status/1904921537884676398
https://www.instagram.com/p/DHtMCJJS-Po
https://www.forbes.com/sites/danidiplacido/2025/03/27/the-ai-generated-studio-ghibli-trend-explained