Vor zwölf Jahren, in dieser wunderbaren Stille eines vielleicht halb gefüllten Kinosaals, erlebte ich einen dieser besonderen Momente: Ein Film wurde zu etwas Größerem, er wurde zu einer Art Prophezeiung.
An der Oberfläche erzählt Spike Jonzes Her die Geschichte eines einsamen, zurückgezogenen Mannes, der sich in sein Handy verliebt – genauer gesagt in die künstliche Intelligenz mit weiblicher Stimme, mit der er sich von morgens bis abends unterhält. Schon damals wirkte das gar nicht allzu weit hergeholt. Und schon damals wirkte dieser Film wie ein Meisterwerk. Heute mehr denn je.
Denn nach all den bahnbrechenden Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz wird klar: Her hat uns tatsächlich einen Blick in unsere Zukunft gewährt.
Die zeitlose Brillanz von Her
Auch wenn wir alle noch immer vergeblich auf die versprochenen Hoverboards aus Zurück in die Zukunft II warten: Viele große Science-Fiction-Filme haben unsere Realität nicht nur teilweise richtig vorhergesagt, sondern sogar aktiv mitgestaltet.
Was Her von anderen Zukunftsvisionen unterscheidet, ist die subtile Eleganz, mit der Spike Jonze seine Vision umsetzt: Keine fliegenden Autos, Roboterarmeen oder interstellaren Zeitreisen – stattdessen eine warme, leicht nostalgische Ästhetik mit sanften Pastellfarben und hochgeschnittenen Hosen. Die Kamera von Hoyte van Hoytema schafft eine Intimität, die uns direkt in die Gefühlswelt des Protagonisten Theodore Twombly eintauchen lässt.
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Aber es ist Samantha, Her, die den Film so einzigartig macht. Sie ist keine kalte, berechnende Maschine, sondern ein Wesen mit einer Stimme (Scarlett Johansson), die Wärme, Humor und Verletzlichkeit ausstrahlt. Sie lacht, sie zweifelt, sie entwickelt und ändert sich. Kurzum: Sie ist menschlich.
Der ChatGPT-Moment: KI für alle
Im Film ist es ein Unternehmen namens Elemental Software, das die KI entwickelt. In der Realität ist es OpenAI mit ChatGPT. Im Jahr 2022, nur neun Jahre nach Her, kam der Punkt, als künstliche Intelligenz plötzlich für jedermann zugänglich wurde. ChatGPT hat die Welt im Sturm erobert und innerhalb von nur fünf Tagen eine Million Nutzer erreicht. Das war dieser Moment, in dem KI von einem abstrakten Konzept zu einem alltäglichen Werkzeug wurde.
Dieser Moment markierte den Beginn einer neuen Ära – einer Ära, in der Menschen begannen, regelmäßig mit KI zu interagieren, ihr Fragen zu stellen, sie um Rat zu bitten und sogar persönliche Gespräche mit ihr zu führen. Die Grenze zwischen nützlichem Werkzeug und verständnisvollem Gesprächspartner verschwand allmählich. Und das rasant.
Sam Altmans Signal: Ein neues Kapitel beginnt
Als Sam Altman, CEO von OpenAI kürzlich auf X postete, fühlte ich mich unweigerlich sofort an Her erinnert. Es war nicht nur der Inhalt des Posts, sondern die Implikation dahinter – wir stehen an der Schwelle zu etwas Neuem, etwas, das über ein Werkzeug hinausgeht.
we trained a new model that is good at creative writing (not sure yet how/when it will get released). this is the first time i have been really struck by something written by AI; it got the vibe of metafiction so right.
— Sam Altman (@sama) March 11, 2025
PROMPT:
Please write a metafictional literary short story…
Wes Roth hat diesen Text genommen und in eine gesprochene Version umgewandelt: Es geht nicht mehr nur darum, Informationen bereitzustellen oder Aufgaben zu erledigen – es geht um eine neue Art der Interaktion, eine, die sich zunehmend menschlich anfühlt.
audio version of this with an AI voice: pic.twitter.com/GT0bEklTsM
— Wes Roth (@WesRothMoney) March 12, 2025
Das neue OpenAI-Modell: Kritik und Faszination
Das neue Modell von OpenAI hat, wie TechCrunch berichtet, gemischte Reaktionen hervorgerufen. Kritiker vergleichen seinen Schreibstil mit „dem nervigen Kind aus dem High-School-Literaturclub“ – überschwänglich, manchmal pretentiös, aber unbestreitbar kreativ.
Der Her-Moment: KI mit Persönlichkeit
Doch, was viele dabei übersehen: Wir erleben derzeit unseren eigenen Her-Moment. Es ist jener Zeitpunkt, an dem KI beginnt, mehr zu sein als ein Tool. Sie wird zu einem Gegenüber, einem Wesen mit scheinbaren Präferenzen, Eigenheiten und einer Persönlichkeit.
Im Film verliebt sich Theodore in Samantha nicht, weil sie perfekt ist, sondern weil sie unvollkommen wirkt, teils unsicher. Das neue OpenAI-Modell ist sicherlich nicht perfekt – es kann überschwänglich sein, manchmal daneben liegen und hat seine eigenen Marotten – aber genau das macht es menschlicher.
Der Her-Moment ist nicht der Moment, in dem KI allwissend und perfekt wird, sondern der Moment, in dem sie beginnt, eine eigene Identität zu entwickeln, in dem die Interaktion mit ihr eine persönliche Ebene erreicht. Es ist der Moment, in dem wir beginnen, mit KI nicht nur zu interagieren, sondern eine Beziehung zu ihr aufzubauen – sei es als Assistent, Berater, kreativer Partner oder sogar als eine Art Freund.
Die ethische Dimension: Zwischen Faszination und Vorsicht
Die Entwicklung wirft ethische Fragen auf, die auch Her auf geniale Art und Weise thematisiert. Im Film wird Samantha übermenschlich. Sie verbindet sich mit anderen KIs, um etwas zu werden, das Theodore genauso wenig nachvollziehen kann wie wir Zuschauer im Kino.
Auch heute stehen wir vor der Frage: Was bedeutet es, wenn KI zunehmend menschlich wirkt, aber fundamental anders ist? Wenn sie Emotionen simulieren kann, aber diese anders erlebt? Wenn sie eine Persönlichkeit zu haben scheint, aber diese auf Algorithmen basiert?
Die Gefahr, dass wir Dinge wie Menschen behandeln, ist echt. Wir neigen dazu, zu anthropomorphisieren, menschliche Eigenschaften auf Dinge zu übertragen. Gleichzeitig eröffnet diese neue Art der Interaktion mit KI Möglichkeiten, die wir erst beginnen zu verstehen. Das reicht von therapeutischen Anwendungen bis hin zu neuen Formen der Kreativität und Zusammenarbeit.
Zwischen Kritik und Potenzial: Eine persönliche Perspektive
Als Werberegisseur sehe ich in dieser Entwicklung enormes kreatives Potenzial. Die Fähigkeit der KI, nicht nur zu unterstützen, sondern zu inspirieren, Ideen zu entwickeln und einen eigenen kreativen Beitrag zu leisten, könnte die Art und Weise, wie wir kreativ arbeiten, grundlegend verändern.
Klar, viele Modelle sind nicht optimal. Sie neigen zu Übertreibungen, wirken zu selbstbewusst oder zu „literarisch“. Aber ist das nicht genau das, was sie menschlicher wirken lässt? Menschen sind nicht perfekt kalibriert, sie haben Ecken und Kanten, Eigenheiten und Marotten – und genau das beginnen wir nun auch in KI zu sehen.
Der Her-Moment ist nicht der Moment, in dem KI Perfektion erreicht. Ganz im Gegenteil. Es ist der Moment, in dem sie beginnt, ihre eigene Form von Imperfektion zu entwickeln – und dadurch menschlicher wirkt.
Der Beginn einer neuen Beziehung
Als Spike Jonze 2013 Her schuf, gab er uns einen Blick in eine mögliche Zukunft. Heute, mehr als ein Jahrzehnt später, beginnen wir, in dieser Zukunft zu leben. Natürlich (noch) nicht exakt so, wie der Film es vorhergesagt hat, aber mit erstaunlich vielen Parallelen.
Der Her-Moment ist da. Und wie Theodore im Film stehen wir vor der Frage: Wie gehen wir mit dieser neuen Form der Beziehung um? Mit Vorsicht, Neugier, Kreativität – oder vielleicht mit allem auf einmal?
Quellen:
Sam Altman auf X: https://x.com/sama/status/1899535387435086115
Wes Roth auf X: https://x.com/WesRothMoney/status/1899898264058814914